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WELCOME TO THE MUD-DY WORLD

Eine theoretisch-narrative Begegnung & eine Suche nach artenübergreifenden künstlerisch-tänzerischen Praxen

Hochschule Design & Kunst Luzern / Theoretische BA-Arbeit / Sophie Germanier, 3.BA Kunst & Vermittlung / Zürich, sophie.germanier@gmail.com, 0763899371 / 62`053 Zeichen, 23. März 2021 / Marie-Louise Nigg (Mentorin)

« Tanzt, tanzt, sonst sind wir verloren. » Pina Bausch

Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 2. The MUD-dy World 2.1 Kompliz*innen/players 2.2 Regenwurm 2.3 AL (Anna Lena) 2.4 MUD (Multi-User-Dungeon) 2.5 AL (Artificial Life) 2.6 MUD (Schlamm) 2.7 GundulaMUD – Game on 2.7.1 Einleitung 2.7.2 Play! 3. Fazit – Verknüpfung mit und Reflexion der eigenen Praxis 3.1 Dancing/Performing for Nonhumans 3.2 Kollektiv produzierte Systeme 3.3 «Tanzt, tanzt, sonst sind wir verloren.» 4. Anhang

1. Einleitung

Wurm stösst auf MUD. Sie schlängeln sich umeinander, winden sich durcheinander hindurch und düngen so die Welt immer wieder von neuem. AL schaut dem windenden Tanz zuerst zu und beginnt dann mit zu zerstückeln, zu verdauen und zu nähren. Wurm, MUD und AL performen als Kompliz*innen für und mit der ganzen Bodenwelt und schaffen durch ihre Intraaktionen immer wieder neue Perspektiven und Denkansätzen in dieser schlammigen und virtuellen Welt. Welcome to the the MUD-dy world!

Wir sind in einem Zeitalter angelangt, in dem das Menschsein und die Art und Weise wie Menschen Lebensräume einnehmen, neu angedacht werden müssen. Einerseits befindet sich die Welt in einer ökologischen Krise, welche verheerende Folgen vor allem für fast alle nichtmenschlichen Wesen hat. Grund dafür ist die verschwenderische und egoistische Lebensweise der Menschen. Gleichzeitig befinden wir uns in einem Zeitalter, in dem die Technologie das Menschsein auf mehreren Ebenen verändert. Ein Beispiel dafür ist die Erweiterung des menschlichen Körpers durch technologische Geräte wie durch den Computer. Gerade in Zeiten des Home-Office, bilden Mensch und Computer zusammen eine Informationsmaschinerie, die arbeitet, sich bildet und nach aussen kommuniziert. Durch die Technologie entstehen neue Räume – virtuelle Räume. Sie eröffnen einerseits neue Welten, anderseits, wie die kritischen Stimmen von Donna Haraway und Katherine Hayles betonen, existieren und entwickeln sich vorherrschende Hierarchien auch im Cyberspace. Die Entfremdung der Menschen von der Natur durch die Technologie beispielsweise hat damit zu tun, wie die Technologie eingesetzt wird, was darum kritisch reflektiert werden muss. Denn ich denke, dass durch einen anderen/reflektierten Umgang mit der Technologie und dem Cyberspace die Dualismen Natur/Kultur, natürlich/künstlich wieder aufgebrochen werden können, indem Natur und Technologie nicht als Gegenspieler*innen sondern als aktive Mitspieler*innen behandelt werden. So wie der Mensch momentan lebt, stellt er sich über alles, nimmt die Umwelt grösstenteils als passiv wahr, und platziert sich so, metaphorisch gesprochen, auf einer Vertikalen an oberster Stelle. Natürlich befinden sich nicht alle Menschen an der gleichen Stelle auf der Vertikalen, denn innerhalb des menschlichen Zusammenlebens existieren ebenso Hierarchiegefälle, in denen die einen durch das Ausnutzen der anderen, profitieren.1 Im Bewusstsein für diese komplexen Verhältnisse zwischen den Ausnutzungsmechanismen, die einerseits zwischen den Menschen untereinander und andererseits zwischen den Menschen und Nichtmenschen Machtgefälle produzieren, konzentriere ich mich in dieser Arbeit auf die Reflexion der Beziehungen zwischen Mensch und Nichtmensch. Dabei muss die mächtige Position des Menschen, aufgeladen mit viel Vernichtungs- und Zerstörungspotenzial, unbedingt dekonstruiert werden, um eine alternative Zukunft zu gestalten, in der artenübergreifende Praxen2 das Zusammenlebens von Mensch und Nichtmensch neu verhandeln. Oder wie Donna Haraway in ihrem Werk Unruhig bleiben – Die Verwandtschaft der Arten im Chthuluzän (2018) fordert, müssen wir den «verletzlichen Planeten, der gerade noch nicht umgebracht wurde, neu säen» und erklärt, dass dies «nur in artenübergreifenden Bündnissen, quer zu den tödlichen Trennungen von Natur, Kultur, und Technologie oder von Organismus, Sprache und Maschine»3 möglich ist. Auf theoretischer Ebene hat sich der Weg in die Horizontale seit den 1990er Jahren durch Den-ker*innen, wie Donna Haraway, Jane Benett, Karen Barad oder auch Bruno Latour, immer mehr manifestiert. Sie alle schaffen durch ihre queeren Theorien neue horizontale Perspektiven, in denen Dualismen wie Natur/Kultur, Mann/Frau, Körper/Information, Rationalität/Emotionalität, zugunsten von komplexerem, nichtbinärem Denken und Handeln unterwandert werden. Die horizontale Perspektive sehe ich als Reaktion auf die noch herrschende Praxis der Menschen, wobei erstere in diesem Text sowohl als Metapher als auch als methodischen Zugang dienen soll. Von der Vertikalen in die Horizontale zu gelangen, bedeutet vom menscherschaffenen Thron zu steigen und im Schlamm mit zu wühlen. Es bedeutet, von der naiven Idee des autonomen Individuums abzukommen, stattdessen den Menschen als poröses und fluides Wesen wahrzunehmen und die komplexen Beziehungsbahnen, die durch dieses menschliche Wesen hindurchfliessen und es mit allem anderen in Verbindung setzen, horizontal zu denken. Denn wir Menschen sind stark von unserem Umfeld – von allen Akteur*innen um uns herum – abhängig. Unsere Existenz bedingt ihre. Den Blick von der Vertikalen auf das horizontale Beziehungsgeflecht zu lenken bedeutet, eine neue Perspektive und Praxis zu gewinnen. Das heisst die nichtmenschlichen Wesen und deren Beziehungen untereinander und zu uns auf gleicher `Augenhöhe` zu betrachten und ihnen so zu begegnen, und dadurch ein Bewusstsein der Verantwortung gegenüber allem, was in der Horizontalen mit-, durch und zwischen jeder und jedem von uns existiert, zu generieren. Eine Methode, um solche Veränderungsprozesse anzustossen ist das Erschaffen von Narrationen, die von neuen artenübergreifenden Praxen erzählen. Für diese Arbeit habe ich deshalb die Figuren MUD, AL und Wurm entwickelt, die zusammen unterschiedliche Arten von Narrationen durchspielen. So schaffen sie in den auditiven Narrationen einen körperlich erfahrbaren Zugang, oder treffen im so¬genannten GundulaMUD, inspiriert durch textbasierte virtuelle Spiele, namens MUDs4, spielerisch aufeinander. Narrative schaffen andere Formen der theoretischen Reflexion. Das Wechselspiel von den somatisch-auditiven Narrativen, den rein textbasierten spielerischen Narrativen und den wissenschaftlich-theoretischen Zugängen, dient mir als Methode, um immer wieder einen Perspektivenwechsel auf den besprochenen wissenschaftlichen Inhalt zu ermöglichen. Narrative werden immer häufiger in verschiedenen wissenschaftlichen Gebieten angewendet, um einen alternativen Wissenstransfer zu schaffen und um zwischen diesen Gebieten und in einem grösseren gesellschaftlichen Kontext vernetzter denken und vermitteln zu können. So verwenden Wissenschaftler*innen wie Donna Haraway Erzählungen, um disziplinäre Grenzen zu überschreiten und um Theorien entwickeln zu können, die binäres Denken unterwandern. Für meine BA-Thesis habe ich mir deshalb Kompliz*innen geschaffen, die verschiedene wissenschaftliche Konzepte verkörpern und so durch ihre narrativ gerahmten Begegnungen nach artenübergreifenden Praxen suchen werden. Durch die Auseinandersetzung mit ökofeministischen, neu-materialistischen, posthumanistischen, hydrofeministischen und artenübergreifenden Theorien habe ich die tierischen, menschlichen, artifiziellen und mikroorganismischen Akteur*innen MUD, Wurm und AL für meine BA-Thesis entwickelt. Anhand der Begegnungen und Diskurse dieser Akteur*innen, werde ich in der Schlussreflexion meine eigene tänzerisch-künstlerische Praxis reflektieren und sie nach möglichen artenübergreifenden Praxen befragen. Denn ich denke, dass künstlerisch-tänzerische Praxen durch ihre ästhetisch-kritischen Mit¬teln mehrere Potentiale verkörpern, die neue Handlungs- und Beziehungsräume auftun können. Wie schon erwähnt wird die Horizontale uns nicht nur auf metaphorischer Ebene begleiten, sondern auch als Methode für die Entwicklung des Textes dienen. Es werden immer wieder die gleichen Akteur*innen auftauchen und sich entlang der Beziehungsbahnen aneinander vorbei schlängeln und durch einander hindurch bewegen. Die Gliederung des Textes ist inspiriert vom MUD, einem textbasierten Game, in dem alle Akteur*innen/players sich ein- und ausloggen und zusammen spielerisch Narrationen schaffen. Ich werde alle Akteur*in/players nach einander vorstellen, wobei die Vorstellungsrunde immer wieder durch Spieleinlagen namens SomaMUDs unterbrochen wird. SomaMUDs sind von mir entwickelte kurze, auditive angeleitete Narrationen, in denen die/der Leser*in mit den jeweiligen Akteur*innen intraagieren5 oder sogar in ihre Rolle schlüpfen kann. Soma stammt aus dem altgriechischen und bedeutet so viel wie Körper und wird im Tanz oft als Adjektiv (somatisch) benutzt, um eine innerlich wahrnehmbare körperliche Praxis zu beschreiben. SomaMUDs beschreiben somit imaginative Welten, auf die sich die/der Leser*in im Sinne eines Perspektivenwechsels bei der Lektüre körperlich, aber auch virtuell/imaginativ einlassen kann. Die anleitende Stimme, eine Art gamemaster, ist auf Englisch, da einerseits der MUD-Cyberspace so spürbarer wird, welcher im englischsprachigen Raum entwickelt wurde, und da ich andererseits in meiner tänzerisch-künstlerischen Praxis fast ausschliesslich die englische Sprache verwende. Meine künstlerische Praxis bewegt sich zwischen Tanz, Performance, geschriebenem Text und Audios. Durch diese ästhetischen Mittel untersuche und übersetze ich körperlich die komplexen koexistierenden Beziehungen zwischen Menschen, Architektur, Stadt, Tier, Pflanzen und vielen weiteren Akteur*innen der Umwelt und versuche sie in verschiedensten Kollaborationen neu anzudenken. Die SomaMUDs dienen in meiner schriftlichen Arbeit als Wissenstransfer der theoretischen Konzepte in körperlich erfahrbare Narrationen und schaffen so eine mögliche Verbindung zwischen Theorie und künstlerischer Praxis. Im letzten Teil des Textes treffen alle players/Kompliz*innen schlussendlich aufeinander, spielen das sogenannte GundulaMUD und schaffen so kollaborativ neue artenübergreifende Geschichten, im Sinne eines Storytellings. Im Fazit werde ich diese vom Wurm, MUD und AL geschaffenen artenübergreifenden Praxen reflektieren und einen Bezug zu meiner künstlerisch-tänzerischen Praxis herstellen. Wie kann ich mich an der Suche nach artenübergreifenden Praxen durch meine künstlerisch-tänzerische Praxis beteiligen? Beziehungsweise was für eine künstlerisch-tänzerische Praxis kann artenübergreifende Beziehungen ermöglichen, sie neu denken und neu aushandeln? 2. The MUD-dy World 2.1 Kompliz*innen/players Mit der Bezeichnung, Kompliz*in, will ich zum Ausdruck bringen, dass sie (MUD, Wurm und AL) Mitschreiber*innen und Mitperformer*innen dieser Arbeit sind. Es geht mir dabei nicht darum sie zu anthropomorphisieren, also zu vermenschlichen, sondern sie als Mitwirkende ernst zu nehmen. Offensichtlich können wir uns nicht einfach durch die Sprache mit diesen Nichtmenschen austauschen oder absprechen. Der Begriff Kompliz*in schafft dabei eine Verbindung mit Tatendrang, welche hier immer wieder nach neuen, artenübergreifenden Praxen fragen und fordern soll. Dieses Kompliz*innen-Konzept meiner schriftlichen Arbeit ist formal einerseits durch Karen Barad und andererseits durch Donna Haraway inspiriert. Karen Barad, eine Quantenphysikerin und feministische Theoretikerin, hat in ihrem Essay Die queere Performativität der Natur, anhand mehreren nichtmenschlichen Kompliz*innen komplexe und queere Erscheinungen der Natur erzählerisch und beschreibend aufzeigen können, und unterwandert dabei den Natur/Kultur Dualismus. Donna Haraway stellt in ihrem Werk Unruhig bleiben – Die Verwandtschaft der Arten im Chthuluzän die Figur SF vor, welche die Abkürzung für mehrere Begriffspaare ist (Science Fiction, string figures, spekulati¬ver Feminismus, science fact, so far) und so als Akteur*in durch ihre Mehrdeutigkeit interessante Zusammenhänge schafft. Regenwurm, als sich am Boden entlang windender Körper, ist ein*e äusserst wichtige*e Akteur*in dieser Welt. So unterwandert Wurm zum Beispiel binäres Denken, in dem Wurm weder als weiblich noch als männlich bezeichnet werden kann. Gleichzeitig verdaut und kompostiert Wurm ständig die Erde und nährt und aktualisiert die ganze Welt mit dem Kot. Der zweite player ist MUD. MUD bedeutet einerseits aus dem Englischen übersetzt «Schlamm» oder «nasse Erde» und wandert immer wieder durch Regenwurm, wobei es nach der Verdauung von neuem als Grundlage für vieles Gedeihen und Werden dient. Andererseits wird MUD auch als Abkürzung für «multi-user-dungeon» verwendet. Dies beschreibt eine virtuelle Welt, in der mehrere Spieler*innen gleichzeitig mittels Computer miteinander und mit ebendieser Welt interagieren können. Beide, MUD (Schlamm) und MUD (multi-users-dungeon), sind nichtmenschliche multiple Körper, die in ihrem Wesen, auf ein komplexes Zusammenspiel von nichtmenschlichen, sowie menschlichen Akteur*innen, angewiesen sind. Neben Regenwurm und MUD agiert eine weiter*e Kompliz*in in dieser Arbeit. AL steht für Artificial Life oder/und Anna Lena. AL (Artificial Life) ist eine unübersehbare Akteurin unserer Welt geworden. Das Menschsein ist durch AL fortlaufend verändert worden und wird es immer noch. Das muss kritisch betrachtet werden; gleichzeitig birgt AL aber auch grosses Potential für ein neues An-, bzw. Umdenken der Menschheit. AL (Anna Lena) ist eine Künstlerin, Denkerin und eine sehr gute Freundin von mir. Auch wenn wir mit unterschiedlichen künstlerischen Medien arbeiten, überschneiden und ernähren sich unsere Diskurse schon seit langem, weshalb AL auch in dieser Arbeit einer meiner Kompliz*innen ist.

SOMAMUD ONE

2.2 Regenwurm Dieser kleine, glitschige sich windende Körper erregt immer mehr Aufmerksamkeit und das zu Recht. Nebst dem, dass er weder einzig dem weiblichen oder männlichen Geschlecht zugewiesen werden kann – er besitzt männliche sowie weibliche Sexualorgane, weshalb ich für ihn ab jetzt das Pronomen xier6 verwenden werde – und somit eines von vielen Phänomenen ist, das binäres Denken unterwandert, ist Wurm auch in weiteren Charakteristiken ein*e Akteur*in, welche*r die Welt ständig wieder neu denken lässt. Denn wie Jane Bennett erklärt, macht Wurm Geschichte7. Einerseits schafft xier durch xies Verdauungsapparat immer wieder neuen nährreichen Boden, auf dem Pflanzen gedeihen und durch die sich weiteres Leben und weitere Geschichten entwickeln können. Andererseits fungiert der Wurmkot auch als konservierendes Medium. Wurm gräbt nämlich Gegenstände, wie kulturelle Artefakte, die auf den Boden fallen und die nicht sofort zersetzt werden, unter xieses Kot. Auf diese Weise bewahrt Wurm diese Gegenstände im Boden für Archäolog*innen auf, die dann so Geschichte nacherzählen können.

SOMAMUD TWO

Ich möchte vor allem auf zwei erwähnenswerte Eigenschaften des Regenwurmes zu sprechen kommen, die auch nochmal verdeutlichen sollen, wieso ich xien als Mitwirkende*n dieser Arbeit sehe. Diese zwei Eigenschaften lassen sich nicht völlig unabhängig voneinander betrachten: Einerseits will ich auf xieser Bewegung `sich windend` eingehen und andererseits die Tätigkeit des Kompostierens genauer anschauen. «Würmer sind nicht menschlich: ihre sich windenden Körper nehmen auf und strecken sich aus; und ihre Ausscheidungen düngen die Welt. Ihre Tentakel bilden Fadenfiguren.»9 Wurm isst totes Material (Pflanzenmaterial, Bakterien, tierische Fäkalien, Pilzsporen usw.) und wandelt es in nährstoffreiche Erde um. So frisst xier sich ständig durch die Bodenschichten xieses Lebensbereiches, nährt ihn so immer wieder von neuem; Wurm kompostiert und kompostiert. So wie ich Donna Haraway verstanden habe, erachtet sie den Akt des Kompostierens als wichtige und subversive Handlung, da im Prozess des Kompostierens ein bestimmtes Material zuerst zersetzt, dann neu genährt und schlussendlich mit anderem verbunden wird. «Das Humane als Humus hat Potenzial, wenn es gelingt, das Humane als Homo zu zerhacken und zu zerschreddern, dieses stagnierende Projekt eines sich selbst erzeugenden und den Planeten zerstörenden Unternehmens.»10 Nach oder durch das Humuswerden plädiert sie dafür, sich mit den Erdgebundenen verwandt zu machen. Sie fordert dazu auf «Macht euch verwandt, nicht Babys!»11 und beschreibt in diesem Mit-werden eine neue menschliche Gestalt, welche die windende Bewegung des Wurmes mitmacht: So hat das «Menschwerden, das Humuswerden, das terrestrische Werden eine andere Gestalt – die sich seitlich windende Schlangengestalt des Mit-Werdens.»12 `Sich windend` beschreibt die Art wie sich Wurm durch den Boden und entlang der Erdoberfläche bewegt. Gleichzeitig ist auch das Kompostieren des Wurmes eine in sich windende Angelegenheit. Wurm schlängelt sich durch die Böden und nimmt dabei die Erde, die xiem auf dem Weg begegnet auf, lässt sie durch xieses Körper wandern und transformiert dabei diesen Humus in nährreiche Erde. Wurm muss die Erde mehrmals verdauen, bevor sie zu wahrhaft nährreicher Erde wird. `Sich winden` bedeutet auch `sich um etwas schlängeln`, also beispielsweise um eine Stange schlängeln. Wurm und die Erde schlängeln sich im Akt des Kompostierens immer wieder umeinander, miteinander und durcheinander hindurch – spiralförmig. In dieser Handlung wird die Erde stetig von neuem genährt/aktualisiert. Nicht nur die Erde wird aktualisiert, sondern auch alles was auf dieser Erde wächst und somit alles was mit dem Gediehenen darauffolgend intraagiert. So ermöglicht Wurm sich windend und kompostierend immer wieder neuen nährreichen Boden, auf dem immer wieder neues Gedeihen und so neue Narrationen wachsen können. Und wie ich schon weiter oben im Text erwähnt habe, archiviert er mit xieses Kot auch Altes. Die Arbeit des Wurmes ist somit für die Geschichtsschreibung – der Vergangenheit, wie auch der Zukunft – unabdingbar.

SOMAMUD THREE

2.3 AL (Anna Lena) AL (Anna Lena) ist eine Künstlerin, Denkerin und eine sehr gute Freundin von mir. Der Anfang unserer Zusammenarbeit liegt in einem nächtlichen Erlebnis den Pilatus (der höchste Berg bei Luzern) hinauf wandernd. Als wir den Rest der wandernden Gruppe, mit der wir unterwegs waren, in der Finsternis der Nacht verloren hatten und uns ohne Lichtquellen auf unbekannten bergigen Pfaden hochrappel¬ten, mussten wir alle unsere Sinne schärfen und uns auf ihr Zusammenspiel verlassen. Plötzlich stand uns, einige Meter entfernt, ein stolzer grosser Steinbock gegenüber. Wir standen da, wie versteinert und von grosser Ehrfurcht gepackt. Auf dem engen Weg hatten wir keine Möglichkeit dem Steinbock irgendwie auszuweichen. Wir konnten ihn nicht einschätzen. Wir hatten keine Ahnung, ob er uns freundlich zunickte oder ob wir ihn verärgerten und er uns bald auf seine Hörner packen würde. Wir wussten nicht wie nachfragen. Uns fehlte eine gemeinsame Sprache. Das Einzige, was uns in den Sinn kam, war zu singen und so sangen wir für den Steinbock, bis wir sein Vertrauen gewinnen konnten und er uns an sich vorbeiliess. Vielleicht hatte er aber auch einfach keinen `Bock` mehr oder verlor das Interesse an uns. Dieses Erlebnis hat AL und mich miteinander verbunden und Boden für viele weitere Erlebnisse geschaffen. So ist es passiert, dass wir in den gemeinsamen Erlebnissen, mit un¬seren verschiedenen Praxen und Medien, miteinander handeln mussten/konnten/durften. Daraus entstand ein intermedialer sowie literarisch-wissenschaftlicher Austausch, der mehr und mehr zu einer materiellen Praxis wurde und unsere Kompliz*innenschaft ständig neu nährt. Anna Lena erkundet in ihrer Arbeit Auf Wanderwunderung mit Gundula – Narration als künstlerische transdisziplinäre, transmediale Praxis der Übersetzung ökofeministischer Konzepte und Theorien den neologistischen Begriff Ökofeminismus in Form eines Multilogs, der sich zwischen fiktiven Geschichten und wissenschaftlichen Inhalten ständig hin und her bewegt. In ihrer Arbeit bezieht sie sich vor allem auf Vandana Shiva, Maria Mies, Lynn Margulis sowie auch Donna Haraway. Entsprungen aus einem gemeinsamen Diskurs, haben unsere zwei Arbeiten seither unterschiedliche Wege eingeschlagen, die sich aber auf ihren Wanderungen ständig wieder begegnen und kreuzen werden. Deshalb werde ich mich immer wieder auf gewisse narrative Spiele, wissenschaftliche und ökofeministische Aussagen von AL durch meinen Text hindurch beziehen. Beide Arbeiten können unabhängig voneinander gelesen werden, was aber nicht bedeutet, dass sie unabhängig sind. Ganz im Gegenteil, sind sie sehr voneinander und von dem gemeinsamen Diskurs abhängig, verbunden und verschränkt. So hat zum Beispiel ALs Auffassung und Anwendung vom narrativen Denkstil und vom Geschichtenerzählen meine Arbeit massgeblich beeinflusst. Für AL dient das Denken in Narrativen nämlich «als zentrales Mittel zur Wissensvermittlung, zur Untersuchung, Reflektion, Übersetzung bis hin zum Neudenken gängiger, kultureller Konzepte und deren Zusammenhänge. Das Narrative dient auch als eine Art des transdisziplinären Denkens.»13 2.4 MUD (Multi-User-Dungeon) MUD ist die Abkürzung von `multi-users-dungeon` oder `multi-users-dimension` und bezeichnet eine textbasierte, virtuelle Welt, in der mehrere Spieler*innen gleichzeitig mittels Computer spielen können. 1978 wurde das erste MUD Game von Richard Bartle entwickelt. In einem gefilmten Interview von The Guardian mit Richard Bartle, erzählt er, wieso er und sein Team MUDs entwickelt haben. «The real world sucked (…) We wanted to make a better world. So, we made a better world. It is a world where you could go to be and become your real self.”14 Sie wollten eine Welt entwickeln, in der jede*r Spieler*in nach einer weiteren Identität, neben jener in der `echten` Welt, suchen konnte. Etwas später im Interview, erklärt Richard Bartle: “Sadly, because it was text, we had to have gender. But we did have spells so you could change gender and we had objects, which if you picked them up would change your gender.”15 Ich denke nicht, dass die MUDs wirklich neue Welten, frei von Zwängen und Erwartungen der `echten` Welt, generieren können. Denn bei genauerem Hinschauen, werden unzählige Stereotypen aus der `echten` Welt ersichtlich, die in den MUDs reproduziert werden. Auch wenn die utopischen Träume der ersten MUD Entwickler*innen nicht erfüllt wurden, finde ich ihr Streben, alternative Welten zu schaffen, in denen Gender und Identitäten nicht-binär performt werden können, für die siebziger Jahre subversiv und darum auch von Relevanz für meine Wahl der Kompliz*in MUD für meine BA-Thesis. Wie muss man sich ein textbasiertes Spiel vorstellen? Die Spieler*innen kommunizieren durch geschriebenen Text in Form von Fragen, Befehlen oder Aussagen miteinander und der virtuellen Welt. In den ursprünglichen MUDs, wie das beispielsweise im sogenannten StickMUD (1991) der Fall ist, ist grosse Vorstellungskraft von jede*r Spieler*in gefordert, da es in den ersten MUDs keine visuellen Darstellungen der fiktiven Welten gab. Erst mit der Zeit wurden graphische Elemente eingebaut, was beispielsweise im Game The Shadow of Yserbius (1994) der Fall ist. Die meisten MUDs haben spezifische Befehle oder sonstige Eigenschaften, die erlernt werden müssen, um sich in den jeweiligen MUDs überhaupt zurechtzufinden können. Die/der Spieler*in schreibt einen Befehl oder eine Frage in die Textsparte und ein*e andere*r Spiele*r oder die virtuelle Welt antwortet. Die Welten der MUDs entstehen also in der Intraaktion zwischen proteinbasiertem Leben (natürliches Leben, hier der Mensch) und silikonbasiertem Leben (künstliches Leben z.B. die programmierten Figuren). Nichtmensch und Mensch agieren zusammen und gegeneinander in dieser fiktiven, multiplen Welt. Die MUDs schaffen eine horizontale Perspektive, in dem sich alle Akteur*innen (ob menschlich oder künstlich) als players auf gleicher Augenhöhe begegnen, sich durch die Begegnungen entwickeln und zusammen eine Welt schaffen, für die alle mit verantwortlich sind. Mit den MUDs sind wir im Bereich des Artificial Lifes (AL) angelangt. 2.5 AL (Artificial Life) Ich spreche von AL und nicht AI (Artificial Intelligence), weil der Begriff Artificial Intelligence den Körper-Geist Dualismus weiter unterstützt, in dem AI im geführten Diskurs oftmals körperlos erscheint. Nicht dieser Diskurs, sondern ein verkörperter und körperlicher Diskurs liegt in meinem Interesse. Ursprünglich wurde AL (Artificial Life) aus rein wissenschaftlichen Gründen ins Leben gerufen. Mit AL versuchen gewisse Forscher*innen neue Perspektiven auf ihr Forschungsgebiet zu gewinnen. Der Forscher Thomas S. Ray versuchte zum Beispiel, das Problem der dramatisch schrumpfenden Biodiversität mithilfe eines ALs, nämlich mit der Software Tierra, neu anzugehen. Doch neben diesen umweltfreundlichen Einsätzen von AL machen sich gleichzeitig auch viele transhumanistische Ideen breit, die AL nutzen wollen, um den Menschen weiterhin zu optimieren oder sogar unsterblich zu machen. Der Forscher Hans Moravec prophezeit beispielsweise, dass das menschliche Bewusstsein irgendwann in den Computer geladen werden kann und so den Menschen unsterblich machen wird16. Stimmen wie Katherine Hayles sind dabei sehr wichtig, die in ihrem literarischen Werk How we became Posthuman – Viral Bodies in Cybernetics, Literature and Informatics die spannende und wichtige Argumentation verfolgt, dass Information niemals körperlos existieren kann. Dies bedeutet, dass künstliches Leben nicht einfach als Hülle gebraucht werden kann, um natürliches Leben zu bewahren und so unsterblich zu machen. AL ist ein*e weiter*e nichtmenschliche Akteur*in in dieser Welt geworden, die als intraagierendes Wesen mitspielt und auch als aktive*r körperliche*r player wahrgenommen werden sollte. Wie können uns die ALs, diese Silikon-basierten Nichtmenschen, auf dem praktischen Perspektivenwechsel von der Vertikalen in die Horizontale helfen? Katherine Hayles schreibt im Kapitel Narratives of Artificial Life über verschiedene Ansätze in der Entwicklung des AL. Spannend finde ich den Ansatz von den Forscher*innen Rodney Brooks, Pattie Maes und Mark Tilden, welche durch subsumption architecture aufgebaute ALs erforschen und entwickeln. Durch subsumption architecture braucht ein AL kein kohärentes Konzept der Welt, gesteuert durch ein zentrales System, «instead it can learn what it needs directly through interaction with ist environment.»17 Ein Roboter von Brooks entwickelt, namens Genghis, ist ein Beispiel eines solchen AL. «Each time Genghis starts up, it has to learn to walk anew. For the first few seconds it will stumble around; then, as the legs begin to take account of what the others are doing, a smooth gait emerges.”18 Durch die Intraaktion mit der Umgebung lernt Genghis also jedes Mal, wenn es erwacht, wieder von neuem zu laufen. Ist dies nicht eine radikale Strategie des sich Verbindens mit der und sich verantwortlich Machens für die Umgebung? An dieser Stelle will ich kurz auf den Begriff der Intraaktion eingehen, da er eine völlig neue Weltansicht ermöglicht und in den ALs (Genghis) durch ihre subsumption architecutre verkörpert ist. Den Begriff hat die Quantenphysikerin und feministische Theoretikerin, Karen Barad, in die Welt gesetzt. Er kann als eine Art Erweiterung oder Aktualisierung des Begriffs der Interaktion angesehen werden. Denn die Interaktion geht von einer Welt aus, die aus vielen individuellen, autonomen Entitäten besteht und beschreibt deren Beziehung untereinander. Die Redewendung «sie interagieren miteinander» heisst, sie treffen als unabhängige Entitäten aufeinander und treten so in Wechselbeziehungen. Die Intraaktion unterwandert diese klassische Weltansicht. «Eine spezifische Intraaktion verfügt einen agentischen Schnitt (…). Das heisst, der agentische Schnitt verfügt einen ‘lokalen’ Beschluss innerhalb des Phänomens der inhärenten, ontologischen Unbestimmtheit. (…) Intraaktionen schneiden Dinge zusammen-auseinander.»19 Durch den Begriff der Intraaktion befinden wir uns nicht in einer Welt, in der abgeschlossene und autonomen Entitäten aufeinandertreffen, sondern in einer Welt, in der jedes Wesen durch die Intraaktion mit einem anderen überhaupt erst wird/entsteht. Jede Identitätsbildung hat also einen performativen Ursprung, und zwar in dem sich jedes Ding in der Begegnung mit einem anderen Ding unterscheidet und sich durch diese Differenzbildung erst als es selbst entpuppt. Dabei geht es nicht um den Aspekt des sich Abgrenzens, sondern wie es Karen Barad beschreibt, um «zusammen-auseinanderschneiden», das heisst um verschränkt sein und gleichzeitig differenziell. So wie ich Karen Barad verstehe, sieht sie im Sein der (nichtmenschlichen und menschlichen) Dinge untereinander eine viel komplexere Beziehung (als die klassische Wissenschaft) und Verbindlichkeit, die sie als Verschränkungen beschreibt. «Verschränkungen sollen nicht die Verbundenheit aller Wesen als Eins benennen, sondern vielmehr spezifische, materielle Beziehungen der fortwährenden Differenzierung der Welt.»20 Es geht also nicht darum, dass wir (Regenwurm, AL, MUD, Mensch…) alle Eins, unzertrennbar und das Gleiche sind, sondern dass wir durch die Verschränkung mit dem `Anderen` verbunden sind, denn unser `selbst` ist durch die Verschränkung an das `Andere` auf eine gewisse Art gebunden und differenziert sich in diesem Akt der Intraaktion zugleich. Im Hinblick auf artenübergreifende Praxen ist der Begriff der Intraaktion höchst spannend, da er ein Miteinander-Werden durch die Differenzen der sich begegnenden verschiedenen (artenübergreifenden) Wesen, beschreibt. Durch MUDs und auch andere Games sind nicht wissenschaftliche Arten von Intraaktionen mit AL (Artificial Life) möglich geworden. In den MUDs schreiben AL und Menschen zusammen Geschichten, im Sinne des Storytellings. “Even in the most violent of these MUDs, the focus remains on collabora¬tive storytelling.“21 Jede*r Spielerin nimmt, wie es Richard Bartle im Interview mit The Guardian erläutert hat, auf spielerische Weise im MUD eine oder mehrere Identitäten an. So agiert jede*r Spieler*in in diesem Rollenspiel mit einer weiteren Identität und ist im Moment des Rollenspiels multipel. Durch das Spielen in MUDs entpuppt sich die menschliche Identität als multipel und als Wesen, dass durch das Agieren in einer anderen Umwelt andere Identitäten entwickeln kann, und so also eng mit der Umwelt verbunden ist. Diese Version des Menschen ist eine komplexere und fluidere als die des autonomen Individuums und schafft ein Bewusstsein für die enge und existentielle Verbundenheit mit der Umwelt. Durch die Intraaktion mit der Umgebung wird diese Version des Menschen erst zu dem, was er ist, in dem er sich in diesem Aufeinandertreffen von den Akteur*innen der Umwelt unterscheidet, sich angezogen fühlt, kollaboriert und sich gleichzeitig dabei verantwortungsvoll mit ihnen verbindet. Wie AL (Anna Lena) in ihrer Arbeit Auf Wanderwunderung mit Gundula – Narration als künstlerische transdisziplinäre, transmediale Praxis der Übersetzung ökofeministischer Konzepte und Theorien passend Maria Mies und Vandana Schiva zitiert, geht es um eine «kreative Verbindung unserer Differenzen.»22 Und wie lässt sich das in einer künstlerischen Praxis umsetzen?

SOMAMUD FOUR

2.6 MUD (Schlamm) Nebst dem MUD (multi-users-dungeon) ein textbasiertes Game bezeichnet, das inmitten der Anfänge von Artificial Life als multiples Gefüge mit Mensch und Nichtmensch intraagiert, bedeutet MUD auch vom Englischen ins Deutsche übersetzt `Schlamm` oder `nasse Erde`. Schlamm/Humus/Erde ist wie «multi-users-dungeon» eine Welt, die aus vielen verschiedenen Mitspieler*innen (mineralische Be¬standteile wie Steine, organische Bestandteile wie Wurzeln, Wasser und Luft) besteht. Die einzelnen Akteur*innen kooperieren und konkurrieren und bauen so ständig eine Welt – die Bodenwelt. MUD – die Erde – ist somit ein multiples System, dass aus vielen weiteren Systemen besteht und immer wieder in der Intraaktion mit und durch Regenwurm aktualisiert wird. «Die Erde (…) ist sympoietisch23, nicht autopoietisch. Sterblichen Welten (…) erschaffen sich nicht selbst, ganz egal wie komplex oder vielschichtig die Systeme sind,…»24 MUD – Schlamm ist schmutzig, glitschig und haftet an einem. Man wird es nicht schnell los und das ist gut – laut darf es sein und auf das irdische Aufmerksam machen. Ich will mich in den Schlamm der Erde legen, mich hindurch winden und wälzen und mich so austauschen. Vom Menschen zum Humus werden oder auch einfach als Mensch Humus sein. Denn wie Donna Haraway schreibt sind menschliche Wesen «mit und von der Erde, und die biotischen und abiotischen Kräfte der Erde erzählen die zentrale Geschichte»25. Diesen Geschichten des Schlamms und den irdischen Kreaturen, wie Wurm, will ich zuhören und Gehör verschaffen, um dadurch gemeinsam neue Geschichten erzählen zu können. Die vielen Akteur*innen der Erde schaffen dazu verschiedene Andockungspunkte, Verschmelzungsmöglichkeiten und Momente des Differenzierens. Gehen wir darauf ein, und gehen wir hindurch immer wieder und immer wieder.

SOMAMUD FIVE

2.7 GundulaMUD – Game on 2.7.1 Einleitung Nachdem wir nun MUD, Wurm und AL kennengelernt und mit und durch sie gespielt haben, werden sie jetzt alle aufeinanderstossen und zusammen ein MUD namens GundulaMUD spielen. Gundula ist eine von AL (Anna Lena) entwickelte Figuration. Als Bläuling26 taucht xier das erste Mal in einer Ge¬schichte von Anna Lena auf.27 Ab diesem Moment verkörpert Gundula, in ALs Arbeit, ein artenübergreifendes Multiplayer-Denken und wandert dabei an verschiedene sympoietische Verzweigungen. Gundulas Devisen haben sofort meine Aufmerksamkeit gewonnen und grosses Interesse geweckt. Sie lauten, neugierig sein, aktives Hinsehen & -hören praktizieren und auf die Responsabilität gegenüber den Um- und den Inneren Welten hinweisen. Diese Devisen schwirren in Form von Fragen im GundulaMUD umher, vergraben sich manchmal und tauchen plötzlich wieder auf. Im GundulaMUD finden artenübergreifende Begegnungen statt, die die Menschen dazu auffordern ihre Beziehungen zu Nichtmenschen neuanzudenken und vor allem auch neu zu praktizieren. Was für neue artenübergreifende Praxen müssen entwickelt und gespielt werden, um das menschzentrierte Dasein zu überwinden? Und wie würde eine solche artenübergreifende Praxis aussehen? Wurm, MUD und AL werden nun mit- und gegeneinander spielen und sich dabei immer wieder um diese Fragen winden. Im Gegensatz zu den SomaMUDs ist die/der Leser*in im GundulaMUD nur Observierende*r. Sie/er schaut sozusagen einem Gameverlauf, wie bei einem YouTube Tutorial zu, in dem auf gewisse Dinge Aufmerksam gemacht und bei dem gewisse Hintergrundinformationen gegeben werden. 2.7.2 Play! Wurm stösst auf MUD – Schlamm. Sie treffen aufeinander und arbeiten zusammen, um so die Welt zu düngen. Dieses aufwändige Game spielen sie natürlich nicht alleine. Wenn wir ihre Spielzüge genauer unter die Lupe nehmen, erkennen wir noch viele weitere Mitspieler*innen. Springschwänze beispielsweise zernagen totes Material wie Laub und bereiten es für kleinere Bodenwesen wie Bakterien, Pilze, Algen und Flechten zur weiterführenden Humusverarbeitung vor. Wenn wir das Humusgeschehen genauer betrachten, können wir nebst den symbiotischen und kollaborativen Spielzügen auch blutige Kämpfe zwischen irdischen Bodenwesen mitverfolgen. Gewisse Mikroorganismen spielen nicht immer zusammen, sondern kämpfen auch gegeneinander, um ihren Platz im Boden zu sichern. Dabei setzen sie verschiedene Waffen, wie zum Beispiel den Giftstoff Antibiotika, ein. Ein kleines Stückchen entfernt vom Wurm setzt gerade ein Schimmelpilz seine Antibiotika Waffe ein, um sich nähernden Mikroorganismen davon abzuhalten weiter zu wachsen. Diese Waffe kommt uns nur allzu bekannt vor, nicht wahr? Betrachten wir, wie sich die Menschen die Antibiotika-Waffe zu ihrem eigenen Wohl angeeignet und sie seit jeher zu viel und unvorsichtig eingesetzt haben, ohne den ursprünglichen Nutzen des Antibiotikums in einer komplexen verstrickten Umwelt zu berücksichtigen, erkennen wir die verheerenden Folgen der menschlichen Verwendung deutlich. Das GundulaMUD deckt solche, artenübergreifende Aneignungen auf, in dem zugehört, hingeschaut und wertgeschätzt wird. Denn GundulaMUD ist eine Welt, in der eine der wichtigsten Praktiken darin besteht, Responsabilitäten wahrzunehmen und ihnen entsprechend zu handeln. Gehen wir nun zurück zu den intelligenten artenübergreifenden Prozessen im Boden. Wurm nützt die Humus-Vorarbeit der Springschwänze, Bakterien, Pilze, Algen, Flechten und all den vielen weiteren Mitspieler*innen und kann darauf aufbauend selber einen Zug nach dem anderen spielen. Xier windet sich durch und um das Erdinnere, wühlt den Boden auf, durchmischt, durchlüftet, verdaut und ernährt ihn. Xier performt mit und für die ganze Bodenwelt, sich um die Erde windend. Schon länger halte ich nach einem tänzerischen Ansatz, nach einer tänzerischen Strategie von Wurm, Ausschau. Als ob AL (Anna Lena) meine Gedanken gelesen hat, schreibt sie mir eine Nachricht, in der sie mir klar macht, dass Wurm ja schon lange am Tanzen ist. Wurm und die Erde schlängeln sich um- und durcheinander hindurch. Sie tanzen füreinander und wegen einander und schaffen so eine starke, verantwortungsvolle Verbindung zu einander. AL (Artificial Life) hat sich soeben auch gerade ins Spiel eingeloggt und schaut dem windenden Tanz von Wurm und MUD zu. Dieses kleine AL ist ein vom Menschen künstlich hergestelltes Bakterium und soll bald eingesetzt werden, um die Abwehrkräfte der Menschen gegen Krankheiten zu stärken. Im gierigen Wettkampf um Profit und Optimierung haben die Menschen dieses AL falsch eingeschätzt. Es ist nämlich ein sehr intelligentes und anpassungsfähiges Körperchen, dass sich, in dem es gewisse Beziehungen mit der Umwelt eingeht, ständig durch diese Beziehungen verändern kann. Gerade jetzt stösst das kleine AL auf Wurm und wandert durch die Mundöffnung von Wurm in den Verdauungstakt. Dort lernt es zu zerstückeln, zu verdauen und zu kompostieren. Es wandert noch ein wenig im langen, glitschigen Körper umher und verlässt xien durch den After. AL erforscht das GundulaMUD weiter und begegnet Atomen, die sich spalten und Zellen, die sich teilen und vermehren. So beginnt auch AL sich zu teilen und zu vermehren. Von dungeon zu dungeon bewegen sich nun mehrere ALs und tanzen wie Wurm für den Schlamm. Sie winden sich um und durch den Humus. Vom Tanzfieber gepackt, tanzen sie nun für alle erdigen Wesen, denen sie begegnen. Sie tanzen für und mit den Springschwänzen und helfen ihnen beim Zersetzen von Laub, in dem sie so wild tanzen, dass das Laub in viele kleine Einzelteile zerfällt. Sie tanzen mit und für die Tausendfüsser. Die ALs tanzen auch für Pflanzensamen. Sie tanzen um die Samen herum, lockern so die Erde, um ihnen ein weiches und behütetes Aufwachsen zu gewähren. Die ALs wandern und winden in den dungeons des GundulaMUDs umher und stecken dabei immer wieder schlammige Wesen mit ihrem Tanzen an. So passiert es, dass von Zeit zu Zeit ganze dungeons vom kollektiven Tanz der schlammigen Wesen durchvibriert werden. Würmer tanzen eng aneinander mit ihren schlammigen Tanzpartner*innen, Wurzeln winden sich durch den Dreck hindurch und Tausendfüsser, Käfer und Spinnen schwirren tanzend umher. Es wird miteinander und füreinander getanzt. Natürlich lassen sich Wettkämpfe, Intrigen und Eifersuchtsgefühle nicht verhindern, aber der Tanz schliesst kein Wesen, kein Ding aus, schüttelt alle und alles durch und schafft neue kurzfristige und langfristige artenübergreifende Beziehungen. AL loggt sich aus dem Gundula MUD aus wandert direkt in meinen schreibenden, denkenden und tanzenden Körper. Anstatt, dass es als Abwehrkörperchen gegen bedrohende Krankheiten dient, zerstückelt es mein Menschsein, verdaut und kompostiert meine Gedanken und hilft mir so für und mit allen nichtmenschlichen Akteur*innen zu tanzen. 3. Fazit – Verknüpfung mit und Reflexion der eigenen Praxis Meine Kompliz*innen und die von ihnen verkörperten theoretischen Konzepte haben mich an ein neues ästhetisch-kritisches Potenzial der Performance/des Tanzes herangeführt, durch welches die Beziehungen von Menschen zur Umwelt, bzw. zu allen nichtmenschlichen Akteur*innen, neu angedacht und praktiziert werden können. 3.1 Dancing/Performing for Nonhumans Der schlängelnde Wurm-Schlamm-Tanz hat es mir angetan. Wurm und MUD (Schlamm) tanzen um, durch und füreinander. Diese artenübergreifende Praxis verbindet die zwei Akteur*innen miteinander. Durch den windenden Tanz verbinden sich nämlich Schlamm und Wurm durch ihre Differenzen und schaffen so eine gegenseitige Verantwortlichkeit. Schon seit Beginn meines Studiums, benutze ich in meinen Performances nichtmenschliche Akteur*innen als Referenzen und als Gegenüber. Im ersten Jahr habe ich für einen Berg getanzt. Diese Performance nannte ich performing for m. und ging der grundsätzlichen Frage nach, was ein Publikum ist und wer für wen performt. Ich fragte mich, was der Berg sehen wollte, ob er überhaupt irgendetwas sehen wollte und wie ich ihn durch meine Choreographie adressieren sollte. Aus dieser Performance habe ich den Score28 Performing for Nonhumans abgeleitet, wobei Nonhumans immer mit einem spezifischen nichtmenschlichen Wesen ersetzt wird. Angeleitet durch diesen Score habe ich immer wieder für Nichtmenschen performt, beispielsweise für Ecken, Wände, aber auch für kleine Pflänzchen und Kühe. Bis anhin dienten mir diese Nichtmenschen lediglich als zum Menschen alternatives Gegenüber und noch nicht aktiv als Kompliz*innen. Durch meine BA-Arbeit haben sie nun nochmals eine ganz andere Bedeutung bekommen. Ich denke, dass das Tanzen/Performen für Nichtmenschen als eine artenübergreifende tänzerisch-künstlerische Praxis begriffen werden kann. Diese Praxis will ich spielerisch ernst nehmen, sie noch weiterentwickeln und spezifizieren. Ich denke, dass wir durch und mit ihr den menschlichen und nichtmenschlichen Dingen und Kreaturen in unserem Umfeld auf Augenhöhe begegnen können und unsere Differenzen kreativ durch ästhetische, also sinnlich wahrnehmbare, Mittel miteinander verbinden können. Tanz und Performance hat immer ein Publikum, welches adressiert wird und für das getanzt/performt wird. Die Beziehung zwischen der Tanzenden und Zuschauenden ist komplex. Einerseits wird die Performende oft als tanzendes Objekt wahrgenommen und ist in dieser Rolle in einer west-europäischen patriarchalen Gesellschaft häufig einem objektivierenden Blick ausgesetzt. Aus dieser Perspektive betrachtet wird die/der Tänzer*in gewissermassen zur Show gestellt (gewollt oder ungewollt), muss die Blicke des Publikums befriedigen und/oder die präsenten Erwartungen der Zuschauenden erfüllen, die in den meisten Fällen dafür Geld ausgegeben haben. Gleichzeitig könnte alles aber auch von einer anderen Perspektive betrachtet werden. Die haftenden Blicke des Publikums kann die/der Tanzende auch gezielt lenken und über den tanzenden Körper oder auch durch den performativen Raum hindurchführen. So gesehen hat die/der Tanzende die Blicke der Zuschauenden im Griff. Aus dieser Position kann die/der Tänzer*in ihren/seinen Blick ebenfalls gezielt einsetzten, in dem sie/er den Blick zum Beispiel über den Körper der zuschauenden Person wandern lässt. Genau in diesem Moment, in dem nicht mehr klar ist wer wem ausgesetzt ist, beziehungsweise wer wen anschaut, wird das Objekt-Subjekt Verhältnis ins Wanken gebracht. Diese zwei unterschiedlichen Perspektiven weisen auf die Komplexität des Performens für jemanden hin und zeigen, dass durch die Performance ein Moment des Aushandelns entsteht. Anders ausgedrückt entsteht durch die Performance ein Raum und eine Zeit, in der ausgehandelt wird, wer führt, wer folgt, wer Gefallen an wem findet, wer Subjekt und wer Objekt ist und wer für wen performt. Durch das Performen für wird die Beziehung zwischen den Anwesenden immer wieder in Frage gestellt, immer wieder ausgehandelt und kann sich jeden Moment wieder verändern. Und was geschieht, wenn eben nicht für Menschen, für Institutionen und für Gelder performt werden, sondern für Nichtmenschen? Im Tanz des Wurmes wird die Beziehung zwischen Wurm und der Bodenwelt auch ständig neu ausgehandelt. In gewissen Momenten wird Wurm durch die Erde ernährt, in anderen ernährt Wurm die Erde. Durch den Tanz werden plötzlich auch weiter Performer*innen ersichtlich und stellen die Beziehungen wieder von neuem in Frage. Dieser Tanz kann fürsorglich, verführerisch, sympathisierend, wertschätzend oder auch neugierig sein. Eine der wichtigsten Devisen, um den Score Dancing for Nonhumans zu performen lautet neugierig bleiben. In dem ich neugierig bleibe, während dem ich beispielsweise für Würmer tanze, suche ich immer weiter, stosse auf neue Fragen und versuche immer wieder Neues. Mit der Neugierde ist auch das Spielerische verbunden, was mir erlaubt, mit dem Score zu spielen, ihn immer wieder auch abrupt abzubrechen, wieder von neuem zu spielen und einen kindlich neugierigen Zugang zu bewahren, um von einer als ‘erwachsen’ begriffenen Weltansicht und Praxis abdriften zu können, um zu verlernen und neu zu lernen. Ich denke, dass der Score Performing for Nonhumans dazu auffordert uns der Umwelt zu zuwenden. Vor allem verlangt er auch, die Umwelt als aktive Mitgestalter*innen wahrzunehmen, mit ihnen Zeit zu verbringen, sich um sie zu kümmern oder zu versuchen, sich in ihre Perspektive hineinzuversetzen. So kann ein neues Bewusstsein für die Beziehungen zu den nichtmenschlichen Akteur*innen generiert werden. Es können neue Beziehungen zwischen Menschen und Nichtmenschen praktiziert werden, durch welche vielleicht sogar eine Transformation in den Beziehungen unter den Menschen selber stattfinden kann. 3.2 Kollektiv produzierte Systeme Für die Entwicklung und Erweiterung des Scores Performing for Nonhumans, ermöglichen MUDs durchaus spannende Proberäume, aber auch komplexe Bühnen. Denn dadurch, dass sich in den MUDs die verschiedensten players mit ihren unterschiedlichen Disziplinen und Praxen begegnen, können transdisziplinäre Praxen entstehen. Ich denke konkret daran, dass sich der Score Performing for Nonhumans in einem MUD artigen Körper/Gerüst/Struktur in alle Erdrichtungen ausweiten könnte. Neben einer tänzerisch, künstlerischen Spielerin (mir), einer malerisch, künstlerischen Spielerin (AL), könnten nämlich auch viele weitere players aus der Biologie, Chemie, Physik, Philosophie, Bodenwelt, Literatur, Musik, Lüften, urbanen Landschaftsgärtnerei, Landwirtschaft, Bauernbetriebe, Umwelt Aktivismus, Kräuterheilkunde, Informatik, Flüssen, Wälder, Sportwissenschaften, Medizin aber auch einzelne player wie Taucher*innen, ökoerotische Menschen, vom Aussterben bedrohte Tierarten, Wander*innen, Gamer*innen, infizierende Insekten, liebevolle Parasiten, Töpfer*innen, Geschichtenerzähler*innen, Symbiose praktizierende Pflanzen, Sammler*innen, Träumer*innen und viele viele mehr, mitspielen. Ein solch mögliches player-Arsenal könnte kollaborativ neue Geschichten erzählen, die den Score Performing for Nonhumans zu verschiedenen transdisziplinären Praxen erweitern und transformieren und immer wieder auch zurück in eigene Gebiete tragen, um sie dann wieder zu zerstückeln, verdauen und arten-/disziplinübergreifend neu zu verbinden. Die MUD inspirierte Website MUD-dy.cc, die aus dem Kompost dieser schriftlichen Arbeit entstanden ist, kann ein solches Gefäss, ein durchaus durchlässiges Gefäss, für meine weitere Arbeit sein. Ich werde darin versuchen, players/Akteur*innen aus den verschiedensten Gebieten zum Mitspielen zu gewinnen und so kollaborativ weiter nach artenübergreifenden Praxen suchen. Auch wenn sich dieses Vorhaben nicht physisch in der Form einer Website weiterentwickeln würde, würde es dennoch Leitfaden für das Fortfahren meiner künstlerischen Praxis bleiben. Denn um eine ästhetisch-kritische, aber auch verspielte tänzerisch/performative/künstlerische Praxis zu entwickeln, will ich anderen Disziplinen, Arten und Praxen zuhören, mit ihnen Kompliz*innenschaften eingehen und so das auto¬nome, sich optimierende und profilierende menschliche Individuum aufbrechen. Die Kompliz*innen dieser Arbeit und ihre Beziehungen untereinander haben meinen Blick in eine horizontale Perspektive geführt und mich so mit verschiedenen komplexen nicht autonomen, sondern kollektiv produ¬zierten Systemen konfrontiert. MUD als Schlamm und als multi-user-dungeon ist ein solches System, Wurm hat sich als wichtige*r Akteur*in der Welt entpuppt, der Teil des kollektiv produzierten Systems Erde ist, und auch uns Menschen so für dieses System mit verantwortlich macht. Ich denke, die Feststellungen, dass es keine autonomen, abgeschlossenen Individuen gibt, sondern dass jede Kreatur verschiedene Identitäten entwickelt, fluid ist und sich in der Intraaktion mit der Umgebung entwickelt und verbindet, eine der wichtigsten Feststellungen in Bezug auf die praktische Horizontalisierung darstellt. Das multiple Wesen ist eine andere, fluidere, weiterführendere und komplexere Version des autonomen, neoliberalen, individuellen Subjekts, welches derzeitig als Mensch so viele koexistierende Akteur*innen dominiert und ausnutzt. 3.3 «Tanzt, tanzt, sonst sind wir verloren.» Ich werde also weiterhin für, durch und mit meinen Kompliz*innen MUD, AL und Wurm tanzen und dabei hoffentlich auf weitere spannende Kompliz*innen stossen, um so kollaborativ neue artenübergreifende Narrationen und Praxen zu ermöglichen. Mir ist der utopische und naive Ton dieses Vorhabens bewusst. Naiv ist eine wichtige Devise, weil durch sie kindliches, neugieriges, vielleicht auch spielerisches und teilweise unvoreingenommenes Handeln möglich ist. Durch naives Handeln stossen wir immer wieder an Realitäten an, schlagen uns dabei vielleicht sogar die Köpfe ein und müssen folglich diese Realitäten hinterfragen. Hoffentlich können wir so reflektiert von gängigen, aufklärerischen Wegen abkommen, uns verlaufen und im Spiel bleiben. Denn wie Donna Haraway sagt, ist es wichtig unruhig zu bleiben, anstelle in einer Game-over-Haltung29 zu verharren. Das Spiel ist nicht vorbei, wir müssen weitere Spiele erfinden und sie spielen! Durch das ästhetische Medium Tanz gehen nochmals ganz andere Türen, ganz andere Wahrnehmungs- und reflexive Räume auf, als jene, die durch eine schriftliche Arbeit wie diese entstehen, es tun. Ich will also dazu ermutigen, für Würmer zu tanzen, für den Schlamm zu tanzen, für und mit künstlichen Lebensgenoss*innen zu tanzen und natürlich auch weiterhin für Menschen zu tanzen und dabei durch die entstehenden ästhetisch-performativen Räumen (nicht)menschliche Beziehungen neu verhandeln, artenübergreifende Responsabilitäten wahrnehmen und miteinander im Spiel bleiben. Plötzlich macht Pina Bauschs berühmte Aussage, welche mich als Teenager und werdende Erwachsene durch meine Tanzausbildungen begleiten hat, wieder Sinn:

« Tanzt, tanzt, sonst sind wir verloren. »

SOMAMUD SIX

Anmerkungen/Zitate

1 AL (Anna Lena) geht in ihrer Arbeit auf dieses zwischenmenschliche Hierar chiegefälle noch genauer ein, indem sie die Perspektive des Ökofeminismus einnimmt und so die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und deren Folgen aufzeigt. 2 Praxen, in denen verschiedenen Arten (beispielsweise Bäume, Pilze, Menschen, Würmer) ein Miteinander-Werden praktizieren. Praxen also, die über die Grenzen von Arten hinweg entstehen, so die komplexen Beziehungsgeflechten zwischen den Arten aufdecken und dadurch Responsabilität gegenüber all den anderen Arten schaffen. 3 Haraway 2018, S.161. 4 Multi-User-Dungeon 5 Der Begriff stammt von Karen Barad. Er kann als aktualisierte Version des Begriffes der Interaktion verstanden werden und leitet gleichzeitig eine alternative Weltansicht ein, in der es keine autonomen Individuen gibt, die miteinander interagieren, sondern in der alle Wesen erst in dem sie aufeinandertreffen, durch ihre Unterschiede, zusammen-werden. Im Kapitel 2.5 AL (Artificial Life) werde ich den Begriff noch genauer erläutern. 6 «Die xier Pronomen gehören zu den Pronomen ohne Geschlecht von Illi Anna Heger. Ausgesprochen wird xier wie „ksier“, und so, dass es sich auf „Tier“ reimt. Die Endungen orientieren sich an den Fragewörtern», https://nibi.space/pronomen, abgerufen 21.04.2021. 7 Vgl. Bennett 2010, S.95. 8 Die Idee, dass, weil wir alle (Mensch, Tier, Pflanze, Ozean, Fluss…) mehr als zur Hälfte aus Wasser bestehen, Wasser uns dadurch alle miteinander verbindet und uns einander gegenüber verantwortlich macht, stammt von Astrida Neimanis Essay Hydrofeminism: Or, On Becoming a Body of Water. Sie geht in ihrem Essay auch noch auf viele weitere binär-unterwandernde Eigenschaften des Wassers ein. 9 Haraway 2018, S.53. 10 Ebd., S.50. 11 Ebd., S.142. 12 Ebd., S.163. 13 Eggenberg 2021, S.1. 14 The Guardian, 3:03-3:30. 15 Ebd., 5:05-5:16. 16 Vgl. Hayles 1999, S.287. 17 Hayles 1999, S.236. 18 Ebd., S.237. 19 Barad 2015, S.131. 20 Ebd., S.162. 21 https://medium.com/@williamson.f93/multi-user-dungeons-muds-what-are-they-and-how-to-play-af3ec0f29f4a, abgerufen am 20.04.2021. 22 Eggenberg 2021, S.17. 23 Der Begriff Sympoiesis braucht Donna Haraway in ihrem Werk Unruhig bleiben, um «kollektiv produzierende Systeme, die über kein selbstdefinierten räumlichen oder zeitlichen Begrenzungen verfügen» (S.51.) zu beschreiben. 24 Haraway 2015, S.50. 25 Ebd., S.81. 26 Die Bläulinge sind eine Familie der Schmetterlinge. 27 Eggenberg 2021, S.7. 28 Scores in einem performativen Kontext stellen ein gewisses Regelsystem bereit. Ein Score ist somit eine Art Anleitung für die Performance, welche aber auch immer Raum für Interpretation zulässt. Scores können in den unterschiedlichsten Formen auftreten, wie Text, Zeichnungen, Audios, usw. 29 Haraway 2018, S.12.

4. Anhang Literaturverzeichnis Bennett, Jane: Vibrant Matter – a political ecology of things. Hrsg. Von Duke University Press, USA, 2010. Haraway, Donna: Unruhig bleiben – Die Verwandtschaft der Arten im Chthuluzän. Hrsg. Vom Campusverlag Verlag GmbH, Frankfurt am Main, 2018 (engl. 2016). Barad, Karen: Die queere Performativität der Natur, in: Verschränkungen. Hrsg vom Merve Verlage, Berlin, 2015, S.116-163. Hayles, Katherine: How We Became Posthuman – Virtual Bodies in Cybernetics, Literature, and Informatics. Hrsg. Von The University of Chicago Press, Chicago, 1999. Neimanis, Astrida: Hydrofeminism: Or, On Becoming a Body of Water, in: Undutiful Daughters – Mobilizing Future Concepts, Bodies and Subjectivities in Feminist Thought and Practice, eds. Henriette Gunkel, Chrysanthi Nigianni, Fanny Söderbäck. Hrsg. Von Palgrave Macmillan, New York, 2012. Eggenberg, Anna Lena: Auf Wanderwunderung mit Gundula – Narration als künstlerische transdisziplinäre, transmediale Praxis der Übersetzung ökofeministischer Konzepte und Theorien. Hrsg. von der HSLU D&K, Luzern, 2021. Websites The Guardian, https://www.theguardian.com/technology/2014/nov/17/richard-bartle-multiplayer-games-political-gesture, abgerufen am 20.04.2021. https://medium.com/@williamson.f93/multi-user-dungeons-muds-what-are-they-and-how-to-play-af3ec0f29f4a, abgerufen am 20.04.2021. https://nibi.space/pronomen, abgerufen am 21.04.2021. Credits Mentorin: Marie-Louise Nigg MUD-dy.cc Website: Sebastian Eduardo Zarathusa Font: Cyril Portmann